Die Kinder der kleinen Freiheit - Jahrgang 1944 - 1946
Die Kinder der kleinen Freiheit - Jahrgang 1944 - 1946
Die Kinder der Pestalozzi-Schule-Hamburg Jahrgang 1944 - 1946
 Die Kinder der Pestalozzi-Schule-HamburgJahrgang 1944 - 1946  

Wie meine Mutter und ich die Bombennacht am 25. Juli 1943 erlebten

 
Im Juli 1943 herrschte ein besonders heißes Sommerwetter in Hamburg,

was den Menschen sehr zusetzte. Auch in den Nächten war es sehr warm. 

Am 24. Juli hatte meine Mutter mich zeitig ins Bett gebracht. Man wusste ja nie, ob man die Nacht ungestört würde durchschlafen können.

Da war es wichtig, keine Zeit zu verschenken.

Wegen der Wärme hatte meine Mutter mir nur einen leichten Strickanzug angezogen und mich auf die Bettdecke gelegt.

Meine Mutter wollte sich, nur leicht bekleidet, auf dem Sofa im Wohnzimmer ausruhen.

Leider war sie eingeschlafen.

Sie musste in einen tiefen Schlaf verfallen sein, denn sie hörte weder die heulenden Sirenen des Fliegeralarms, der gegen  Mitternacht ertönte, noch Rufe eines Schutzwartes oder hastende Schritte anderer Hausbewohner im Treppenhaus.
Wach wurde sie erst von einem tiefen Brummen, das die Luft vibrieren ließ.

Erst viel später wurde ihr klar, dass diese Geräusche, die sie nie mehr völlig vergessen würde, von mehreren Hundert Bombern der Briten herrührten.

Noch benommen vom Schlaf, vernahm sie auch schon ohrenbetäubende Bombeneinschläge ganz in der Nähe. Plötzlich war sie hellwach, stürzte ins Kinderzimmer und riss mich zusammen mit meiner Decke aus dem Bett.

Bevor sie mit mir auf dem Arm aus der Tür eilte, griff sie sich ohne nachzudenken einen leichten Sommermantel und rannte das Treppenhaus hinab.

Der Notfallkoffer blieb unbeachtet an der offenen Haustür zurück.

Das Stakkato ihrer Schuhsohlen begleiteten die dumpfen Explosionen von Bomben.

Unten schaute sie vorsichtig aus der Tür die Strasse entlang. Sie sah Rauch und etliche Brände.

Die Eingangstür zum Schutzkeller unter dem Möbelgeschäft war verschlossen.

Meine Mutter nahm sich aber keine Zeit für Überlegungen, sondern sprang mit mir über die Strasse.
Gerade als wir auf der anderen Seite ankamen, öffnete sich die Tür zum Keller und ein Mann mit einem Stahlhelm auf dem Kopf schrie etwas und winkte uns herein.

Hastig verriegelte er dann die Tür. Meine Mutter hielt mich immernoch fest umklammert.

Der Keller war voller Menschen: Frauen, Kinder, Alte.

Sie werden so ausgesehen haben, wie es später und immer wieder nach dem Krieg in zahlreichen Büchern und Berichten geschildert wurde: bleiche Gesichter, schreckgeweitete Augen, bebende betende Lippen, zitternde gefaltete Hände; Weinen, Seufzen und Angstrufe, die Detonationen folgten. Irgendwo rutschten Menschen auf einer Bank etwas mehr zusammen und machten Platz für uns.

Meine Mutter hielt mich auf ihrem Schoss und drückte mich fest an ihre Brust.

Meine Bettdecke umhüllte meinen Körper und bedeckte meinen Kopf, was mir wohl ein Gefühl der Geborgenheit gab.
Dennoch kann ja die gesamte Atmosphäre nicht spurlos an mir vorbei gegangen sein.

Nur kann ich mich an nichts erinnern.

Ein Instinkt ließ mich wohl diese Phase ausknipsen.

Auch wurde mir nichts bewusst von alledem, wenn meine Mutter mir viele Jahre nach dem Krieg immer wieder vom Aufenthalt im Keller erzählte.

Sie tat es, ohne dass ich sie darum gebeten hatte.

Dabei variierte sie weder Wortwahl noch Betonung, ihren Blick richtete sie auf einen fernen Punkt.
Den Raum erfüllte Getöse, bald erlosch das elektrische Licht, Talglichter wurden entzündet, unter deren Flackern sich bald Risse im Gemäuer zeigten, von der Decke rieselte Kalk, unter den Füssen bebte der Boden im Rhythmus der Einschläge.

Die Luft war erfüllt von schweißtreibender Hitze.

Die Wassereimer waren fast leer.

Irgendwann verkündete jemand, dass zum Glück kein Gas zu spüren sei.

Die Hitze nahm zu und wurde unerträglich.

Allen wurde klar, dass das Möbellager über ihnen in lichten Flammen stehen musste.

Dann ertönte ein fürchterlicher Lärm.

„Das Haus über uns war eingestürzt.“

Der Schutzwart rief, man könne nicht länger bleiben, man müsse raus hier: „Rette sich, wer kann!“ Männer rissen an den Knebeln zum Ausgang.

Die Tür ließ sich aber nicht öffnen.

Trümmer blockierten den Fluchtweg, auch den nach hinten.

Alle waren eingeschlossen

Die Zustände steigerten sich über das hinaus, was erträglich war.

Der Tod schien für meine Mutter und mich sowie alle anderen alternativlos zu sein.
Irgendwann wurde ein Lufthauch spürbar.

Über das, was folgte, sagte meine Mutter nur: „Besoffene Soldaten, die auf Urlaub waren, hatten den Hinterausgang freigeschaufelt.“

Draußen tobte ein Flammenmeer.

Meine Mutter hatte ihren Mantel angezogen, mich hatte sie in meine Decke gewickelt.

Ob sie unsere Kleider und meine Decke mit Wasser getränkt hatte, wusste sie später nicht mehr.

Sie stürzte mit mir los. Im Keller hatten wir achtzehn Stunden verbracht.
Meine Erinnerung schaltet sich etwas später wieder ein: Neben mir sitzt ein Mann, dessen eine Gesichtshälfte tiefblau verfärbt ist.

Eine wie eine Krankenschwester gekleidete Frau streicht ihm mit einem Messer übers Gesicht und versucht die bläuliche Masse abzukratzen.

Man kann annehmen, dass der Mann von Phosphor getroffen war.
Wir befanden uns in dem erst vor kurzem fertig gestellten Bunker an der Schomburgstrasse.

Nach einer kurzen Erholung gelangten wir in den Keller der Pestalozzi-Schule.

Ich erinnere mich, dass die Strohsäcke, auf denen wir dort im Keller der Schule lagerten, nass waren.

Das ist die unangenehmste Erinnerung an die Ausbombung.

Wie gut, dass ich noch nicht einmal vier Jahre alt war.

Da hat man seine eigenen Prioritäten.
(Anmerkung. Wir wohnten in der Grosse Bergstrasse 22, 4. Stock.

Der uns zugewiesene Schutzraum war ein

verstärkter Keller unter einem Möbelgeschäft auf der anderen Straßenseite)   

 

     

: "Der Bericht wurde entnommen: Martin Klumbies, "Reiseziel Heimkehr- Zwischen Altona und Australien", Verlag Books on Demand".

 

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